Sagen Der Geist auf dem Petrikirchhof

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Wieder einmal schaute der Türmer der Petrikirche auf den Friedhof hinab. Es war zwölf Uhr in der Nacht, und der Mondschein beleuchtete taghell die Gräber und Kreuze und die Giebeldächer der Häuser. Da sah der Türmer, wie sich ein Grab öffnete. Eine geisterhafte Gestalt stieg heraus, legte ihr langes Gewand auf den Grabhügel und ging in das gegenüberliegende Haus.

Der Türmer war vor Schreck bleich geworden und schaute unbeweglich auf das offene Grab hinab. Langsam gingen die Minuten dahin, und die Schatten der Häuser lagen gespenstisch im Häusergewirr der alten Stadt.

Endlich, es war kurz vor ein Uhr, kam die Geistergestalt aus dem Hause zurück. Sie nahm ihr Gewand, kroch ins Grab, und der Hügel schloss sich.

Am folgenden Morgen begab sich der Türmer sogleich zum Bürgermeister und meldete den unheimlichen Vorgang.

„Geh hinab und nimm das Gewand weg, wenn der Geist noch einmal das Grab verlässt!“ befahl der Bürgermeister.

In der nächsten Nacht stieg der Geist wahrhaftig abermals aus seinem Grab empor und legte das Gewand über den Hügel. Dann lief er wie in der vergangenen Nacht über den Friedhof und verschwand indem gegenüberliegenden Hause. Der Türmer hatte das alles mit Schaudern wahrgenommen und dachte an den Befehl des Bürgermeisters. Rasch eilte er die vielen Stufen des Petridoms hinab und trat aus der dunklen Tür in den hellen Mondschein hinaus. Es war kein Spuk, es war Wirklichkeit: dort lag das lange Gewand! Da nahm sich der Türmer ein Herz, erfasste die weiße Leinewand, rannte zurück, schlug die Tür hinter sich fest zu und eilte keuchend die Stufen empor.

Als er aus seinem Turmgemache wieder auf die Gräber hinabschaute – noch immer das Gewand überm Arm – war die Geisterstunde noch lange nicht vergangen. Endlich, kurz vor ein Uhr, kam der Geist aus dem Hause zurück. Als er aber sein Totenhemd nicht fand, kletterte er mit seinem bleichen Gebein am Turm empor. Der Türmer konnte sich vor Furcht und Entsetzen nicht rühren und starrte auf den Geist. Doch ehe dieser sein Fenster erreichte, schlug eine Uhr die erste Stunde an. Da stürzte der Geist vom Gemäuer ab, und der Türmer hörte noch ein dumpfes Knochengerassel. Dann war der Spuk für alle Zeit verflogen.

Drei Tage darauf aber starb der Türmer, und aus dem Petrikirchhof wurde Jahre darauf der Fleischmarkt. Heute noch stehen an der Kirchenmauer die alten, gewaltigen Grabplatten.